Gott heilt alle Wunden – Schreibe die Geschichte weiter.


Gott heilt alle Wunden

Diese Kurzgeschichte entstand schon vor ein paar Jahren, auch in der Volkshochschule Lingen. Unsere Dozentin gab allen die gleichen Sätze vor, aus einer Geschichte von Elke Heidenreich und wir alle sollten sie dann weiterschreiben. Das ist ist dabei in meinem Gehirn entstanden: 

Hier noch kurz die vorgegeben Sätze:

Ich war elf Jahre alt, und es war der Beginn der Sommerferien. Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof, weil ich zu meinem Onkel Hans in den Westerwald fuhr. Das passte ihr ganz und gar nicht, und sie nörgelte die ganze Zeit herum: „Ausgerechnet. Ausgerechnet zu Onkel Hans“, sagte sie. „Sonst noch was.“ („Sonst noch was“ war ihr Lieblingssatz.) Diese Wirtschaft kann ich mir schon vorstellen. Wasch dir ja den Hals. Und die Füße.“

Total spontan, ohne groß Nachzudenken, ging es so bei mir weiter:

Gott heilt alle Wunden

Ich hatte das Gefühl, dass die Fahrt Stunden dauert. Mama hatte einen Schaffner gebeten auf mich acht zu geben und ihm gesagt, wo ich aussteigen musste. Onkel Hans sollte mich am Bahnhof abholen, wahrscheinlich würde er mal wieder zu spät kommen. Wenn Tante Irma ihn nicht an seine Hosen erinnern würde, würde er wahrscheinlich ständig nur in Unterwäsche durchs Haus laufen. Hi hi hi, kicherte ich bei dem Gedanken.

Als der Schaffner zu mir kam, stand ich schon auf und zog meine rosa Daunenjacke an. Auch wenn die immer voll blöd raschelt, beim Spielen und Gehen, ist sie von innen doch so schön kuschelig, ich möchte nie wieder eine andere Jacke tragen. Der Schaffner half mir meinen kleinen Trolley von der Ablagefläche zu heben und ich setzte mir meinen Rucksack auf. Ich stieg aus und er hob mir den kleinen rosafarben, mit bunten Blümchen besetzten, Trolley auf den Bahnsteig und fasste sich zum Abschied an den Schirm seiner Mütze. Ich bin ein bisschen rot geworden. Hoffentlich hat er das nicht gesehen.

So stand ich also auf dem Bahnsteig, allein. Tatsächlich war Onkel Hans nicht da.  Ich hätte ihn anrufen können, wenn Mama mir ein Handy erlaubt hätte! Alle in meiner Klasse hatten eins und schickten sich den ganzen Tag Nachrichten über Whatts App und guckten sich lustige Videos auf YouTube an. Nur ich konnte das nicht, na ja und Veronika. Aber ihre Eltern sind auch so öko alternativ, die haben da alle Angst vor der Strahlung. Jedenfalls meinte Mama, ich solle draußen spielen, früher hätte es das auch nicht gegeben und alle wären klar gekommen und ich würde mich zu einem Sklaven des Internets machen und das sollte kein 11jähriges Kind. Ich würde noch früh genug an Computer und Telefon gefesselt sein, wenn ich anfangen müsste zu arbeiten.
„Sonst noch was?“ fragte ich sie damals, drehte mich um und ging in mein Zimmer. Aber nun stand ich hier, alleine am Bahnsteig.

Ich trotte Richtung Bahnhofshalle und zog meinen Trolley ratternd hinter mir her. Gerade als die Schiebetüren sich öffneten, hörte ich hinter mir eine Stimme:
„Hallo? Hallo! Wartest du auf jemanden?“, fragte mich eine Frau.
„Ja, sagte ich, auf meinen Onkel Hans. Der holt mich gleich ab“, antwortete ich ihr.
„Oh, dann bin ich ja bei dir richtig“, lächelte sie mich an und es sah aus, als würde die Sonne aufgehen.
„Dein Onkel Hans schickt mich, ich bin seine Nachbarin. Deine Tante ist beim Fensterputzen von der Leiter gefallen und musste ins Krankenhaus. Du sollst bitte bei mir warten, bis sie zurück sind. Ich bin Helena“ sagte sie und streckte mir ihre Hand entgegen.
„Geht es Tante Irma gut?“, fragte ich besorgt. Was soll ich denn in meinen Sommerferien bei einer Tante, die im Krankenhaus ist und einem Onkel, der ständig vergisst das ist da bin?
„Ja, ja, Irma geht es gut! Sie hat sich nur den Kopf angeschlagen, aber die Sanitäter sprachen von einer leichten Gehirnerschütterung. Nur ab einem bestimmten Alter soll man vorsichtig sein“, zwinkerte sie mir zu.

Helena nahm meinen kleinen Trolley in die rechte und mich an die linke Hand. Wir gingen raus, in Richtung der Parkplätze, auf einen alten Mercedes zu. Ein Mann stieg aus, er lächelte mich an und sagte, er sei Ralf, der Mann von Helena. Er half mir aus meinem Rucksack und öffnete die Kofferraumklappe.
„Oh!“ sagte Helena, „Du hast da was an der Nase, das machen wir mal eben weg“, lächelte sie mich wieder an und kam mit einem weißen Taschentuch auf mich zu. Plötzlich drückte sie es mir fest auf die Nase und sagte mir, ich sollte tief Luft holen, dann würde alles ganz schnell gehen!
Mir wurde komisch.

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Als ich wach wurde, hatte ich ganz schlimme Kopfschmerzen! Irgendwie war mir immer noch ganz komisch und vor meinen Augen verschwamm alles.
„Ah, bist du endlich wach.“ sagte jemand.
„Wer ist da?“, fragte ich. „Onkel Hans, bist du das?“. Tränen schossen mir in die Augen und ich hatte Angst! Ich konnte wieder nicht richtig sehen und die Tränen machten alles nur noch viel schlimmer.
„Nein Isabel, ich bin’s Helena.“
„Ich heiße nicht Isabel! Mein Name ist Anne!“ sagte ich mit einem leichten zittern in der Stimme, aber trotzdem mit Nachdruck.
„Isabel, hör auf mit den Spielchen!“, sagte die Stimme wieder. „Das hatten wir schon beim letzten Mal, es reicht jetzt!“.
Ich hatte keine Ahnung, was sie damit meinte? Angst, ich hab so doll angst! Ich versuchte mir die Tränen abzuwischen, damit ich besser sehen konnte, aber ich konnte einfach nicht aufhören zu weinen.

Plötzlich hörte ich, wie sich eine Tür öffnete und wieder schloss und wie danach etwas abgeschlossen wurde. Oh nein, wurde ich eingeschlossen? Ich stand von der Matratze auf, weil ich gucken wollte, wo ich bin. Wenn ich überall ganz dicht mit meinem Gesicht dran ging, konnte ich doch ein wenig durch meine Tränen erkennen.
Die Wände waren mit einer rosa Walt Disney Prinzessinnen Tapete beklebt und auf meiner Bettdecke war auch eine Prinzessin.
Als ich ein paar Schritte lief, zog plötzlich etwas an meinem Bein. Ich erschrak mich ganz fürchterlich und blieb ein paar Sekunden ganz steif stehen!
Als ich wieder versuchte einen Schritt zu gehen, hielt mich wieder etwas fest. Ich traute mich kaum, nachzusehen was es ist.
Ich fühlte mein Bein entlang und am Knöchel angekommen, ertastete ich ein dickes Seil. Ich wurde nun ganz ruhig, setzte mich auf den Boden und wischte mir die Tränen ab. Ich konzentrierte mich auf mich selbst, schloss die Augen und blieb ein paar Minuten so sitzen. Als ich das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr weinen müsste, machte ich die Augen auf.
Dieser komische Nebel war noch nicht ganz vor meinen Augen weg, aber schon viel besser. Ich rieb mir noch ein paar Mal die Augen und dann ging es langsam.
Ich war angebunden, mit einem Seil, an das Prinzessinnen Bett. Was, wo, wieso, was sollte das? Den Knoten würde ich nie los bekommen!
Ich fasste das Seil an und versuchte den Knoten irgendwie locker zu machen, aber es ging nicht. Als hätte jemand einen Knoten gemacht und dann Kleber draufgekippt.

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Ich stand auf und sah mich weiter um. Das Zimmer hatte keine Fenster, komisch, dachte ich mir. An einer Wand stand ein Fernseher, an der anderen Wand ein Schreibtisch mit einem Stuhl davor. In allen Ecken waren kleine schwarze Kästen oben unter der Decke, mit einem roten Licht, welches immer auf und ab blinkte. Mein kleiner Trolley stand in einer Ecke. Ich wollte ihn mir holen, rannte los und fiel hin, als das Seil mich zurück hielt. Als ich aufwachte, lag ich bei Ralf in den Armen.

„Hey Isabel“, sprach er ganz sanft zu mir. „Du bist hingefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen. Du warst für ein paar Minuten bewusstlos, aber jetzt ist alles wieder gut.“, lächelte er mich an.
Ich fing wieder an zu weinen.
„Ich will zu meiner Mama“, weinte ich.
„Das geht leider nicht.“, sagte er. „Deine Mama hat dich nicht mehr lieb. Sie hat uns gesagt, dass wir dich abholen und dir eine neue Familie suchen sollen. Sie möchte ein neues Kind haben, ein besseres. Dein Onkel Hans weiß gar nicht, dass deine Mama dich in den Zug gesetzt hat, deswegen war er auch nicht am Bahnhof.“
Ich musste wieder ganz schlimm weinen und Ralf nahm mich in den Arm und schaukelte mich vorsichtig, bis ich einschlief.

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Als ich wach wurde, wusste ich nicht, ob es draußen hell oder dunkel ist. Ich musste auf Klo und Hunger hatte ich auch. Das Zimmer war ganz dunkel, man konnte nur die kleinen roten, blinkenden Lichter sehen. Als ich mich mehr bewegte, ging plötzlich die kleine Nachttischlampe an.
„Hast du Hunger?“, fragte eine Stimme, die klang, als würde man in einen Joghurtbecher sprechen.
„Ja!“ sagte ich „Und ich muss ganz doll Pipi!“.
„Warte.“, sagte die Stimme.
Die Tür wurde aufgeschlossen und Helena kam herein. Sie hatte einen Teller mit Toastbrot dabei und einen Eimer. Auf dem Toast war Marmelade und Nutella.
„Ich muss ganz doll“, sagte ich noch mal und kniff schon die Beine zusammen.
„Ja ich weiß.“, sagte sie mit einer ganz sanften Stimme und strich mir über das Haar. „Dafür habe ich dir den Eimer mitgebracht. Iss dein Toast und wenn du den Eimer nicht mehr brauchst, stell ihn unter das Bett.“
Ich schaute Helena an und wusste nicht, was sie damit meint.
„Im Nachttischchen findest du Toilettenpapier und etwas, um deine Hände zu reinigen. Wenn du dein Geschäft erledigt hast, schiebst du den Eimer unters Bett, falls du heute Nacht noch mal musst.“
Sie drehte sich um, ging durch die dicke Tür und schloss wieder ab.

Ich soll in den Eimer machen? Wieso darf ich nicht auf Klo gehen? Ich wusste immer noch nicht, was los war. Aber ich musste so nötig!
Ich stellte den Eimer neben das Nachtschränkchen, hob mein Röckchen hoch und schob meine Strumpfhose und meine Unterhose gerade mal so weit runter, dass ich Pipi machen konnte, ohne das meine Sachen nass wurden. Ich wischte ab und mit den anderen Tüchern machte ich meine Hände sauber. Ich warf alles mit in den Eimer, vielleicht riecht es dann nicht mehr so komisch.
Hunger hatte ich auch, ganz fürchterlich. Ich nahm den Teller mit den Toastbroten und ging zum Schreibtisch, setzte mich auf den Stuhl und aß alles ganz schnell auf. Sie hatte mir auch ein Trinkpäckchen auf den Tisch gestellt. Wenn ich das aber trinke, muss ich bald wieder Pipi, aber in dem Eimer ist schon was drin. Aber Durst hatte ich auch.

Ich sah mich weiter im Zimmer um. Plötzlich ging der Fernseher ganz von alleine an und die komische Joghurtstimme redete wieder zu mir: „Isabel. Wir machen dir jetzt ein Film an. Auf dem Bett liegt ein Nachthemd. Zieh es bitte an und leg dich schlafen, es ist schon spät.“
„Ich kann meine Strumpfhose nicht ausziehen“, fing ich wieder an zu weinen, „Das Seil ist zu stramm an meinem Bein.“
„Nein, ist es nicht.“, sagte die Stimme. „Zieh erst das linke Bein aus und dann kannst du die Strumpfhose vorsichtig unter dem Knoten heraus ziehen und sie ganz ausziehen.“.

Sonst noch was? Dachte ich. Ich machte, was die Stimme sagte. Das blöde Seil piekte an meinem Bein. Das war mir vorher mit der Strumpfhose gar nicht aufgefallen. Ich zog die Strumpfhose aus, dann meinen Pulli und dann konnte ich auch mein Röckchen über den Kopf ausziehen. Unterhemd und Unterhose ließ ich an. Ich zog das Nachthemd drüber und legte mich ins Bett. Das blöde Seil piekte echt ganz schön.
„Isabel, bitte vergiss nicht zu beten! Knie dich vor das Bett und danke Gott, dass du einen schönen Tag hattest und genug Essen und Trinken.“, sagt die komische Stimme wieder.
„Mein Tag war nicht schön!“, sagte ich böse. „Ihr habt mich an einem Bett mit einem kratzenden Seil festgebunden, es gab nur Toast und Trinkpäckchen und ich will zu meiner Mama! Ich glaub euch nicht, dass sie mich nicht mehr lieb hat!“
Die Tür wurde laut aufgeschlossen und weit aufgerissen, Ralf kam rein. Er hatte einen ganz roten Kopf und machte Fäuste mit seinen beiden Händen. Er kam ganz dicht an mich heran, das machte mir große Angst.
Er schrie mir direkt ins Gesicht: „Wenn ich dir sage, dass du dem Herrn für die guten Gaben danken sollst, dann wird hier nicht Diskutiert! Du tust verdammt noch mal, was ich sage. Mein Wort, ist hier das Gesetz!“ brüllte er, holte weit mit seinem Arm aus und haute mir mit der Faust ins Gesicht.

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Als ich wieder aufwachte, tat mir mein Gesicht fürchterlich weh. Mein linkes Auge ging nicht auf, meine Nase tat ganz doll weh, die Kopfschmerzen waren wieder da und ich schmeckte Blut in meinem Mund. Helena war im Zimmer. Sie stand mit dem Rücken zu mir und ich hörte Wasser plätschern. Als ich mich bewegte, drehte sie sich um.

„Hey Kleine, wie fühlst du dich?“
Ich wollte was sagen, aber es kamen keine richtigen Töne aus meinem Mund. Ich konnte ihn nicht richtig bewegen!
„Nein, sprich nicht! Du hast dir ein Stückchen Zunge abgebissen, als Ralf dir Gott erklärt hat. Dein Gesicht ist ein bisschen angeschwollen, das geht die Tage aber zurück und die Zunge heilt von alleine. Wir werden das ein paar Mal spülen und dann passiert da schon nix.“, lächelte sie mich wieder an.
Ich spürte, wie mein Kopf warm wurde ich wieder weinen musste. Helena stellte eine Schüssel mit Wasser und Waschlappen auf den Nachttisch. Leg dir die feuchten Waschlappen auf die Stirn und auf das Gesicht, dann geht die Schwellung schneller zurück.“
„Danke“, sabberte ich. Ich schmeckte immer noch Blut im Mund und mir wurde schlecht. Ich legte mir die Waschlappen auf das Gesicht. Die Kühlung tat tatsächlich gut und ich schlief irgendwann wieder ein.

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Ich weiß nicht, wie lange ich nun schon hier bin. Ich weiß nicht, ob es draußen Tag oder Nacht ist. Ich weiß nicht, ob ich erst ein paar Stunden hier drin bin oder schon Tage oder Wochen. Immer wieder werde ich müde vor Anstrengung und schlafe ein. Die Schwellung im Gesicht war schon größtenteils zurückgegangen und ich konnte auf beiden Augen schon fast wieder gut sehen.

Jeden Abend gab es das gleiche Ritual, falls ich nicht schon vorher einschlief, weil Ralf mir wieder Gott erklärte und wenn ich es nicht verstand, prügelte er es mir ein. Er schlug mich aber nicht mehr ins Gesicht, da ich meine Zunge zum Beten brauchen würde.
Manchmal schlief ich auf dem Bauch, weil er mir den Rücken so doll mit seinem Gürtel verprügelt hatte, dass das Nachthemd darauf schon wehtat. Helena kam immer, wenn Ralf mir Gott erklärt hatte und wusch mich, machte alles sauber und cremte mich ein. Manchmal musste ich Tabletten nehmen, damit ich nicht krank werde.

Ralf sprach viel mit Gott und ich war immer dabei. Wir beteten zusammen, weil ich so ein schönes Zuhause hab, weil Ralf und Helena mich so lieb haben. Wir beteten für meine Mutter, dass sie ein besseres Kind bekommen würde und Ralf betete dann manchmal noch heimlich und still für sich weiter, mit Dingen, die ich nicht hören durfte. Ich betete dann für mich, dass ich ein besseres Kind werde, damit mich auch jemand lieb hat. Dann legte ich mich immer ins Bett und Ralf küsste mich auf die Stirn. Wir waren mittlerweile ein richtig gutes Team.

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„Heute haben wir eine Überraschung für dich“, zwinkerte er mir zu. „Wir haben dir einen neuen Film gekauft“.
Ich sprang aus dem Bett und nahm Ralf ganz fest in die Arme! „Danke“ sagte ich und drückte ihn ganz doll.
Aufgeregt legte ich mich wieder hin und starrte wie gebannt auf den Fernseher. Am spannendsten fand ich immer diese kleinen Vorschaufilme, für die neuen Filme. Die Musik wurde laut, viele kleine Zeichentrickkäfer liefen über das Bild und eine dunkle brummige Stimme sagte laut: „Der Kinohit des Jahres 2012. Millionen Zuschauer haben ihn bereits gesehen und diesen Sommer erscheint er auf Blu-ray und DVD.“

Super dachte ich, das sieht lustig aus. Ich werde ganz lieb sein und Ralf dann bald fragen, ob ich den auch sehen kann. Ich lächelte. Doch plötzlich wurde mir ganz komisch. Der Kinohit des Jahres 2012, diesen Sommer auf Blu-ray und DVD, erinnerte ich mich? Was ist Blu-ray und wenn der Film 2012 schon im Kino lief, ist entweder jetzt 2012 oder schon 2013, weil man Filme auf DVD manchmal erst viel später kaufen kann. Wenn jetzt 2012 ist, ich starrte auf meine Finger und bewegte sie zum Rechnen und zählte im inneren mit, mir kamen wieder die Tränen.

Jetzt wo ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass ich gewachsen war und Helena mir irgendwann neue Sachen hingelegt hatte. Ja, ich hatte das vorher schon bemerkt, aber verdrängt, da ich auch nicht wusste, wie schnell man wächst. Meine Haare waren auch ganz lang geworden.
Ich konnte besser Lesen und Schreiben, aber ich dachte, das wäre die Übung, da ich ja den ganzen Tag nicht anderes zu tun hatte! Mein Körper hatte sich auch ein wenig verändert.
Aber… ich dachte noch einmal ganz ruhig darüber nach, schaute noch mal auf meine Finger, dann bin ich ja jetzt 13 oder 14. Ich versuchte mich zusammenzureißen, aber es ging nicht. Ich heulte los wie ein Schlosshund. Zwei oder drei Jahre bin ich jetzt schon hier? Ich war unendlich traurig.

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Durch die Isolation von anderen Kindern und weil Ralf und Helena mich so komisch behandelten, ich immer nur Kinderfilme sah und Kinderbücher las, so oft weinte und schlief und zu Gott sprach, dieser Raum keine Fenster hatte und ich nicht wusste wann Tag oder Nacht war, ich hatte kein Zeitgefühl.
Zwei oder drei Jahre bin ich schon hier. Ich hatte immer gehofft, dass Mama mich findet und ich doch wieder nach Hause kann, ich hab mich bemüht, ein gutes Kind zu sein, damit man mich lieb haben kann.
Aber zwei oder drei Jahre, solange sucht man nicht. Ich hatte in meinem alten zu Hause mal meinen Lieblingsteddy verloren und nur einen Nachmittag gesucht, und das kam mir schon ewig vor. Ich schluchzte Tagelang und riss mich immer zusammen, wenn Ralf und ich zu Gott sprachen, damit er nichts merkt.

Eines Tage stand ich nach dem Beten auf und spürte etwas warmes, klebriges an meinem Po. Als ich das Nachthemd nach vorne zog, erschreckte ich mich fürchterlich! Ich wusste was es war, aber nicht mehr, wie es hieß. In der 4. Klasse hatten wir Sexualkunde und dort wurde das erklärt. Wenn ich bluten würde, könnte ich Kinder bekommen und Pickel. Ralf war ganz aufgeregt und rief Helena hinein!
„Schatz, Schahatz! Sie ist endlich soweit.“
Helena kam herein gestürmt und freute sich. „Lass dich drücken! Von nun an, bist du eine Frau.“, sagte sie.
Sie sah mich unendlich stolz an. Wie Mama damals, als ich Fahrradfahren konnte ohne Stützräder. Helena brachte mir frische Sachen und etwas, damit ich nicht weiter meine Sachen und das Bett voll schmieren würde. Eine Woche später war alles vorbei. Ralf betete in dieser Zeit noch mehr mit mir, dass ich Fruchtbar sein sollte. Ich wusste nicht, was das bedeuten soll, aber natürlich betete ich gehorsam mit.

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Ein paar Tage später kam Helena zu mir ins Zimmer, als ich noch schlief. Sie weckte mich ganz sanft und strahlte mich wieder so wundervoll an, wie nur sie es konnte.
„Wir haben eine Überraschung für dich, heute gehen wir nach draußen!“, lächelte sie und ihre Augen wurden feucht.
Sie hatte mir neue Anziehsachen mitgebracht. Ich solle mich gut duschen, sagte sie, mir die Haare hübsch machen und das Kleid anziehen. Das tat ich.
Ich bekam ein tolles Frühstück mit Waffeln und frischem Obst. Nach dem Frühstück kamen Ralf und Helena ins Zimmer. Sie lächelten beide und die Tür hinter ihnen stand auf.
Mir schossen Tränen in die Augen.
„Kann ich jetzt endlich wieder zu Mama“, fragte ich.
„Nein, besser“ sagte Ralf.
Helena nahm mich an die Hand und führte mich hinaus. Wir gingen durch einen Raum, der aussah wie ein Wohnzimmer, in dem aber viele Fernseher standen.
Nach dem Wohnzimmer kam die Küche und dann ein Flur.
Helena drückte meine Hand sehr fest. Ralf ging auf die Haustür zu, öffnete sie und wir gingen raus. Ich konnte es nicht fassen, ich war draußen, im Sonnenschein. Meine Augen brannten. Immer nur dieses falsche Licht, hat sie sensibel werden lassen.

Wir gingen auf einen Wagen zu, den ich nicht kannte. Ein Mann stieg aus. Er trug ein langes weißes Kleid, einen dicken schwarzen Bart und eine große Sonnenbrille. Er kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu, seine weißen Zähne glitzerten im Sonnenschein. „Sie ist noch rein?“ fragte er Ralf.
„Ja, geistig wie körperlich“, sagte Ralf.
„Hallo, ich bin erfreut dich kennen zu lernen! Mein Herr kann es kaum erwarten, dich persönlich zu begutachten“, sagte der Mann, den ich kaum verstand.
Ein großer Mann mit Glatze und einem schwarzen Anzug, übergab Ralf einen Koffer und ich sollte mich in das Auto setzen. Ich hatte keine Ahnung, was los war und ob dieser Mann mich nun zu meiner Mama bringen würde. Ich hatte irgendwie einfach nur Angst, fühlte mich unwohl und wäre am liebsten wieder ins Haus gerannt. Aber meine Beine waren schwer und ich war unfähig mich zu bewegen.
Der Mann in dem weißen Kleid stieg hinten zu mir ins Auto, lächelte wieder mit ganz vielen weißen Zähnen und sagte: „Nun wirst du deinen zukünftigen Ehemann kennen lernen!“ und wir fuhren los.

9 Gedanken zu “Gott heilt alle Wunden – Schreibe die Geschichte weiter.

  1. ich muss schon sagen, die Geschichte hat mich mega gefesselt. Hast du wirklich gut geschrieben und es wäre echt cool, wenn du die Geschichte fortsetzen würdest.

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