Gertruds stoppelige Laufmasche


Gertruds stoppelige Laufmasche

Gertrud fuhr nicht gerne Bus. Sie mochte es nicht, wenn die Leute sie anstarrten. Oder hatte sie doch wieder leichte Stoppeln im Gesicht?

Eine kurze, sehr seriös wirkende Handbewegung verschaffte ihr Gewissheit und sie atmete zufrieden aus, glatt wie ein Babypopo. 

Gefühlte 700.000 Haltestellen später, hielt der Bus endlich am Krankenhaus an. Sie stieg aus. Ihre Füße brannten. Neue Schuhe, mit Absatz. Chic, aber tödlich.

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Klaus fuhr gerne Rad. Als Busfahrer saß er den ganzen Tag und er genoss es, nach seiner Tour seinen Körper noch etwas zu betätigen. Für sein Alter war er ziemlich fit und er wollte seine Pension auch nicht in einem Schaukelstuhl absitzen.

Zielstrebig und zügig wie immer, lenkte er seine Gazelle um die Ecke.

Klatsch. Klöter. Rumpel. Bums. Aua … lag er auf dem Boden. „Mist, verdammter“, fluchte er.
„Aua“, hörte er jemand anders sagen.

Da lag sie. Braune, lockige Haare bedeckten ihr Gesicht. Ihr langer Rock war leicht hochgerutscht und sie hatte die strammsten Waden, die er seit langem gesehen hatte.
„Oh mein Gott, habe ich sie verletzt? Wir sind direkt am Krankenhaus, ich hole sofort Hilfe“, bot er der Frau auf dem Boden an.

Klaus rappelte sich auf und ging zu ihr herüber.
„Ich glaube, ich habe nichts“, räusperte sie sich.
Er reichte ihr die Hand um ihr aufzuhelfen.

„Ich bin Klaus“, ein fester Händedruck erwärmte seine Hand.
„Ich bin Gertrud“, sagte sie und blies sich die dicken Locken aus dem Gesicht.
Nicht nur Klaus‘ Hand war jetzt warm. Gertrud strahlte.
Sie strahlte von innen heraus so stark, dass die Mittagssonne im Hintergrund verblasste.

„Entschuldige bitte, Gertrud. Ich fahre die Strecke so oft, dass meine Gedanken manchmal abschweifen und ich eigentlich gar nicht richtig bei Verstand bin.
Oh Gott, sie bluten“, deutete er auf ihr Knie.

„Kacke, ne Laufmasche“, grummelte Gertrud. „Aber das ist nur ein kleiner Kratzer, mein Bein ist ja noch dran“, lächelte sie Klaus verschmitzt an.

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Klaus hatte ein unsagbar schlechtes Gewissen! Er war nicht aufmerksam gewesen und hatte deswegen diese Schönheit angefahren.
Ihm gefiel ihre grobe, ruppige Art. Er mochte Frauen, die nicht wie ein trockener Strohhalm im Wind zerbrachen.

Er entschuldigte sich tausendmal. Wie ein Maschinengewehr redete er auf Gertrud ein.

Er wollte diesen Engel noch nicht davonfliegen lassen.

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„Bitte Gertrud, nur eine Tasse Kaffee. Das Café am Markt ist gleich um die Ecke. Ich kann sonst die ganze Nacht nicht schlafen. Du darfst mir das nicht ausschlagen, bitte Gertrud.“
Er bewegte sich langsam Richtung Marktplatz und lud sie mit einer Geste ein vorauszugehen.

„Okay. Dann kann ich mir auch eben das Blut abwaschen“, stöckelte sie los.

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Sie setzten sich an einen der hinteren Tische und Klaus bestellte zwei Kännchen und zwei Stück Käse-Sahne Torte.

Gertrud winkte ab. „Für mich bitte keine Torte, die setzt sch sofort bei mir auf die Hüften.“

„Das würde ich mir gerne genauer ansehen“, zwinkerte Klaus ihr zu.
Gertrud wurde rot.

Die Kännchen kamen und sie verstanden sich köstlich. Gertrud fühlte sich von Klaus sehr gut unterhalten.
Er war viel rumgekommen und als Busfahrer hatte er viel mit Menschen zu tun.

Er wickelte Gertrud einfach um den kleinen Finger und ehe sie sich versah, fütterte er sie mit seinem Kuchen. Und es störte sie nicht.

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„Oh verdammt, mein Arzttermin“, sah Klaus erschrocken auf die Uhr die hinter ihr hang.
„Ich hab da ein dreiviertel Jahr drauf gewartet“.
Sie sah die Verzweiflung in seinen Augen.

„Den solltest du nicht sausen lassen, ich kenne das, ich habe auch viele Arzttermine. Morgen, gleiche Uhrzeit, gleicher Tisch?“ Sie errötete leicht der der Frage.

„Oh ja“, nickte er mit einem breiten Lächeln, welches sein ganzes Gesicht ausfüllte.
Er knallte einen Zehner auf den Tisch und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

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Gertrud lächchelte, knete sanft ihr schmerzendes Knie und sah Klaus hinterher.

Morgen würde sie ihm vielleicht sagen, dass sie früher mal Gerd hieß.

Vielleicht…

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Diese Geschichte entstand im September 2015 im kreativen Schreibkurs der VHS. Folgende Aufgabe bekamen wir von unserer Dozentin:

Gertrud und Klaus sind nachmittags im Café am Markt verabredet. Gertrud nimmt den Bus, Klaus kommt mit dem Fahrrad. Beide treffen sich, teilen sich ein Stück Torte und trinken jeweils einen Kaffee. Nach einer Stunde verabschieden sie sich und gehen ihrer Wege zurück nach Hause.

Was könnte die Geschichte dahinter sein?

Im gemeinsamen Brainstormig mit den anderen Autorinnen, kamen ein paar interessante Ideen zusammen, hier nur ein paar Auszüge davon:

  • Gertrud und Klaus sind Dackel
  • Klaus ist Busfahrer und fährt mit dem Rad, weil er es hasst, Bus zu fahren.
  • Gertrud ist Hexe oder Kräuterhexe und muss los, ihren Garten bewässern.
  • Gertrud war vorher ein Mann und mit Klaus verheiratet, die Scheidungspapiere müssen unterschrieben werden.
  • Beide sind eigentlich Teenager und haben nur alte Namen von ihren Eltern bekommen.
  • Jeder von ihnen hat eine zu kleine Wohnung, mit zu viel Teppich.
  • Gertrud möchte mit ihrem alten Schulfreund Klaus ein Kind adoptieren.
  • Ein Ehepaar lebt in Scheidung und sie will das alleinige Sorgerecht für die beiden Hunde Gertrud und Klaus.

Wie ihr seht, eine bunte Mischung. Und was ich daraus gemacht habe, habt ihr oben bereits gelesen.

Wir fandet ihr meine Umsetzung? Habt ihr weitere Ideen?

8 Gedanken zu “Gertruds stoppelige Laufmasche

  1. Moin Moin Petra, erstmal einen schönen Gruß aus Berlin!
    Die Story ist klasse! Ich habe geschmunzelt. Wie das Leben so spielt.Die Geschichte, die Du geschrieben hast ist bitter-süß! Und jeder kann sich selber überlegen wie weiter gehen würde.So wie im richtigen Leben so ist. Man denkt sich nicht weiter und ist happy und dann gibt es ein sehr trauriges Ende!
    Du hast echt sehr spannend geschrieben, Dein Schreibstil gefällt mir! Mach weiter so!

    Gruß
    Joy

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